Menschen und ihre Leistungen- Impulse für unsere Zukunft:

Im Gespräch mit Marko D. Mihovilovic

Die Chemie befindet sich mitten in einer dynamischen, auch disruptiven Entwicklung. Alle Bereiche von Technik und Naturwissenschaften sind im Fluss, im Wechselspiel mit den Veränderungen unserer Gesellschaft. Unsere Studierenden sind für das Neue zu begeistern und gehen mit. Sie sind auch zunehmend selbstbewusst in der Kommunikation. Das ist auch wichtig, damit sie ihre Rolle als Gestalter für unsere Zukunft annehmen können.

Nicht verzagen ist die zentrale Botschaft, wenn es um den Blick auf die Welt geht. Mutig sein. Auch wenn alte Kräfte noch oft am Werk sind und raschen Wandel verhindern wollen, in Europa, in der Welt von Öl und Gas. Es passiert schon viel, der Umbruch ist spürbar geworden, auch in der Politik.

Herz in der Petrischale

Es gilt in der Chemie neue Wege zu definieren, um die Disziplin aus der Ecke des Problemverursachers dorthin zu bringen, wo sie eigentlich schon jetzt maximale Wirkung entfaltet: als Problemlöser. Zur Nachhaltigkeit in der Chemie wurden feste Prinzipien postuliert, die systemisch in ihrer Gesamtheit zu erfüllen sind. In der grünen Chemie gibt es keine langfristigen Teillösungen. Zu eng sind die Zusammenhänge, zu fundamental die neuen Wege. Hierzu können wir in hervorragender Weise von der Natur lernen, uns Prinzipien dieser komplexen Prozesse zu eigen machen und in neuem Kontext zur Anwendung bringen. Klares Ziel ist es, umfassende Lösungen anbieten zu können:

Weg vom Schrebergarten – die großen Felder erkennen und bearbeiten.

Worin bestehen nun diese neuen Wege im Wirken von Marko Mihovilovic, dem Dekan der Fakultät für Technische Chemie an der TU Wien. Als PostDoc in den USA und Kanada hat der geborene Mühlviertler in der Verbindung von organischer Chemie und Biochemie seine Bestimmung gefunden. Moleküle bauen, die dann genau die Eigenschaften haben, die man braucht, um das zu bewirken, weshalb man sie baut.

Moleküle darf man sich wie Lego vorstellen, Bausteine, die von molekularen Architekten vielfältig kombiniert werden. Bausteine, die darüber hinaus aber mit den sehr speziellen Werkzeugen der Bioorganischen Chemie bearbeitet und weiterentwickelt werden können. Also doch weit mehr als Lego! Der Versuch, dem staunenden Bauingenieur in einer halben Stunde die Wunder an der Schnittstelle zwischen Chemie und Biologie zu erklären …

Die moderne Synthesechemie ermöglicht z.B. tiefgreifende Einblicke in medizinische Abläufe, sodass beispielsweise Zellen aus der Skelettmuskulatur mittels künstlicher Moleküle so konditioniert und umprogrammiert werden, sich letztendlich wie Herzmuskelzellen zu verhalten. Das ist von größter Bedeutung in der regenerativen Medizin, in der Heilung nach Herzinfarkten.  Herzmuskelzellen regenerieren sich nicht, andere Zellen unseres Körpers in hohem Masse. Somit jene Gewebe heilbar zu machen, die dies bislang nicht konnten, birgt enorme Konsequenzen auf unsere moderne Gesellschaft.

In ähnlicher Weise verhält es sich damit, aus jenen Rohstoffen, die von der Natur angeboten werden, die Wertstoffe herzustellen, aus denen unsere moderne Zivilisation im Wortsinn zusammengesetzt ist: Kunstfasern in Designerkleidung, organische Lichtemitter in Fernsehern oder Wirkstoffe zu Behandlung von lebensbedrohlichen Erkrankungen. Wir befinden uns inmitten eines massiven Umbruchs, der ohne Innovationen aus der Chemie nicht möglich wäre. Wobei auch hier die Natur häufig Ideengeber ist, um Prozesse nicht mehr bei extremem Druck und hoher Temperatur ablaufen zu lassen, sondern mittels effizienter Enzyme bei Körpertemperatur und in Wasser.

Chemie, Biologie, Medizin, Umwelt, … alles hängt zusammen, alles ist verwoben. Dazu passt auch in hervorragender Weise das Motto der TU Wien: Technik für Menschen. Fortschritt ist in unserer Gesellschaft nur dann ohne Verlust an Lebensqualität möglich, wenn wir nachhaltige Technologien zur Anwendung bringen; und dies erfordert immer mehr eine holistische Sichtweise von der Herstellung über die Nutzung bis zur Wiederverwertung chemischer Produkte im Sinne einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft.

Darin liegt auch eine große Chance in der Bildung, Österreich und Europa als Zukunftsorte begreifen:  unsere intellektuellen Ressourcen ausbauen und nutzen, unsere Ideen umsetzen, hier und jetzt; die Krise als Chance begreifen – das muss unser Platz in der Welt von morgen sein.