Willi Reismann im Gespräch mit Heinrich Schuller

Heinrich Schuller
Heinrich Schuller

Geschäftsführer ATOS Architekten – Architektur mit Leib und Seele

„Die Architektur ist nur so nachhaltig wie die Politik es zulässt“ steht in der Signatur von Architekt Heinrich Schuller,  Mitbegründer von architects4future Austria. Der 2019 gegründeten Organisation geht es um politische Anstösse aus Architektur und Bauingenieurwesen zu einer nachhaltigen Ausrichtung der Baubranche. „Wir brauchen den erforderlichen Wandel des Bausektors hin zu einer ökologisch verantwortungsvollen Baukultur und die notwendigen Rahmenbedingungen zur Erreichung des 1,5°C-Ziels des Pariser Klimaabkommens unter Berücksichtigung der Prinzipien der Klimagerechtigkeit“

Mein Weg zur ökologischen Architektur

Meine Initiation zu nachhaltiger Architektur hat sich bei der Mitwirkung am damals höchst ambitionierten Projekt Ökosiedlung Gärtnerhof ergeben. Gedanken wie Fußläufigkeit, Sonnenenergienutzung, Kreislaufdenken, Recycling, die damals höchst revolutionär waren, sind heute am Puls der Zeit. Für meine anschließende Diplomarbeit über die Beziehung von Architektur und Ökologie 1992 fand sich dann tatsächlich kein qualifizierter Prüfer an der TU Wien. Die jungen Architekten heute wachsen mit  diesen Ideen auf. Sie bekommen das nachhaltige Bauen schon in der DNA mit.

Ein weiterer wichtiger Schritt meiner Entwicklung war das Postulat von Prof. Feist Ende des 20. Jahrhunderts, dass es möglich ist, Gebäude praktisch ohne Energiebedarf zu bauen. Dieser Technologiesprung hat seither Vieles möglich gemacht, bis hin zum heutigen Begriff des Hauses als Kraftwerk oder dem Nearly Zero Energy Building als Mindeststandard in der EU.

Was verstehen wir unter Innovation in der Architektur?
Was sollte geschehen, was geschieht bereits?

Architekten haben sich selbst immer schon als Innovationstreiber gesehen. Aus dem altgriechischen arché – das erste, der Anfang und téchne – die Kunst oder das Handwerk, ergibt sich dieser Anspruch am Beginn eines Bauprojekts zu stehen und daher die Verantwortung Zukunft neu zu planen.

Diesem eigenen Anspruch – Neues zu erschaffen – immanent ist die Gefahr zu scheitern, nicht verstanden zu werden, übers Ziel hinauszuschießen. Am seltensten scheitern daher diejenigen Architekten, die am wenigsten Risiken eingehen. Aber den Mutigen gehört die Welt. Ohne Innovationen – erwachsen aus Sachverstand und Mut – wäre die Evolution bis zum heutigen Tag nicht denkbar. Die Herausforderung des Klimawandels lässt sich nur mit Innovation bewältigen.

Was verstehen wir unter Nachhaltigkeit in der Architektur?
Was sollte geschehen, was geschieht bereits?

Nachhaltigkeit steht für die Einhaltung der ökologischen Systemgrenzen. Im Übrigen die einzige Chance des Überlebens der Menschheit. Langsam beginnt vernetztes Denken – Stichwort „Kreislaufwirtschaft“ – das lange vorherrschende lineare Denken – Stichwort „Wachstumsökonomie“ – abzulösen. Wir begreifen Architektur zunehmend als Teil eines großen Ganzen.

Nachdem bereits vor 60 Jahren die ersten Wissenschaftler darauf hingewiesen haben, dass wir drohen unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören, in den 80er-Jahren als ich studierte Ökologie in der Architektur noch als Orchideenfach gesehen wurde, sind die jungen Architekten heute mit diesem Bewusstsein der Endlichkeit dieser Welt aufgewachsen und handeln dementsprechend. Ob uns die Zeit reicht, die notwendigen Veränderungen unseres Wirtschaftens herbeizuführen, bevor ökologische Kipppunkte erreicht werden, ist aber äußerst fraglich.

Innovation und Nachhaltigkeit – Gegensatz oder Ergänzung?

Veränderungen des sozialen Verhaltens passieren extrem langsam, viel zu langsam für die Schnelligkeit des Klimawandels. Deshalb sehe ich die einzige Chance in technologischen Innovationen. Wenn es einen Rettungsanker gibt, dann ist es die gigantische rationale Fähigkeit der Menschheit zur Innovation. Soziale Innovationen sind wesentlich schwerer zu erreichen, weil der Mensch als emotionales Gewohnheitstier seine Bedürfnisse und Verhaltensweisen nicht schnell ändern kann.

Daher wird es die Technik sein, die uns rettet. Technologien wie Internet, 5G, Passivhaus, Fotovoltaik und Wärmepumpen sind allesamt nicht älter als 20 Jahre aber bestimmen heute das Bauen bzw. die Architektur maßgeblich.

Impulse für die Zukunft

Wenn Architekten weiter Ihrer Verantwortung als „Erste“ gerecht werden wollen, müssen sie sich weiterentwickeln, neugierig sein, die Zeichen der Zeit erkennen, und dafür kämpfen. Keine leichte Situation, aber leicht war in der Architektur noch nie eine maßgebliche Kategorie.

Die Ansätze zur dringend nötigen Ökologisierung der Architektur sind heute so vielfältig wie kreativ. Bauen mit natürlichen Materialien, Kreislaufwirtschaft, Solararchitektur, Cradle to Cradle, Recycling, klimagerechtes Bauen, Co-Housing, Digitalisierung etc., alle Wege führen nach Rom.

Hauptsache wir kommen an.

Der Zukunftsforscher Mathias Horx hat in einer Diskussion jüngst beklagt, dass alle Welt über teureres Öl und Gas jammere. Ökologisch Motivierte jammern seit Jahrzehnten über zu niedrige Energiepreise für fossile Brennstoffe. An dieser Haltung sollten wir arbeiten. Die Gesellschaft muss sich weiterentwickeln und wir befinden uns mitten in diesem technologischen Wandel zum Solarzeitalter.

Ein ökologischer Kapitalismus ist zu entwickeln, ebenso wie ein sozialer. Die Wirtschaft soll Gewinne machen, aber nicht die Nachteile und Folgekosten auf die Gesellschaft und die öffentliche Hand abwälzen, wie es heute noch üblich ist. Das ist der wesentlichste Schritt in eine lebenswerte Zukunft.