Menschen und ihre Leistungen- Impulse für unsere Zukunft:

Im Gespräch mit Eva Schulev-Steindl zu den Themen „Klimaschutz, Energie, Katastrophenvorsorge“

Eva Schulev-Steindl
Eva Schulev-SteindlUmweltjuristin und künftige Rektorin der BOKU Wien

©Sissy Furgler

Die künftige Rektorin der Universität für Bodenkultur in Wien und Professorin für Umweltrecht an der Universität Graz ist eine idealtypische Gesprächspartnerin zum Jahresthema des OIAV.

Die BOKU umfasst mit ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre den gesamten Themenkomplex in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Dieser ist zum Faktum geworden und nicht mehr wegzudiskutieren. Der Klimawandel ist menschengemacht und seine Auswirkungen werden immer klarer. Dass wir alle auf der ganzen Welt zu handeln haben, wird immer offensichtlicher. Dass das Thema nur interdisziplinär, durch Zusammenwirken vieler Fachbereiche anzupacken ist, wird immer deutlicher. Das Umweltrecht ist ein bedeutender Baustein in diesem Zusammenwirken, sowohl national als auch länderübergreifend, global.

Umwelt im Recht …

Mehr als 25 Jahre hat Eva Schulev-Steindl dem Lernen, der Forschung und Lehre im Umwelt- und Klimaschutzrecht gewidmet, an unterschiedlichen Orten und Universitäten. Das ermöglicht den breiten Blick, den es braucht, um dieses Thema einigermaßen zu überschauen. Mit ClimLaw:Graz, dem Research Center for Climate Law an der Universität Graz wurde ein Forschungszentrum zum Klimaschutz als Teil des interdisziplinären Profilbereichs Climate Change Graz ins Leben gerufen; ein Zusammenschluss von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die gemeinsam zu Klimawandel und Nachhaltigkeit forschen und ihr Wissen teilen.

Die BOKU feiert 2022 ihr 150-Jahr-Jubiläum und findet zu diesem Jubiläum auf ihrer Website folgende Worte „Der Blick zurück auf die Geschichte der kleinen land- und forstwirtschaftlich ausgerichteten Hochschule im Gründungsjahr 1872 und ihren rasanten Aufstieg zu einer der modernsten Life-Sciences-Universitäten Europas macht uns stolz.“

Nicht zuletzt die dramatische Entwicklung vieler Lebensthemen in den letzten Jahrzehnten hat die BOKU zu einer Zukunftsuni werden lassen, die sich mit vielen Themen befasst, von denen wir morgen leben – oder auch nicht, wenn uns nicht deutliche Änderungen unseres Lebenswandels gelingen. Das Umweltrecht ist engstens verwoben mit gesellschaftlichen Veränderungen, die einerseits eintreten und auf die zu reagieren ist, oder die andererseits durch Rechtsakte bewirkt werden sollen.

Die Gesellschaft als Schlüssel …

Die Gesellschaft zu ändern, durch Dekarbonisierung und Energiewende, neue Formen des Lebens, des Arbeitens, der Mobilität herbeizuführen, die unserem Planeten keinen weiteren Schaden zufügen, ist eine sehr große Aufgabe, wahrscheinlich eine noch nie dagewesene Dimension an Herausforderung.

Große technische Innovationen werden uns sicher helfen, aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass sie immer zeitgerecht erfunden und entwickelt werden. Auf der BOKU wird beispielsweise erfolgreich daran geforscht, dass Hefe-Stämme sich so verändern lassen, dass sie CO2 in Biomasse umwandeln, die sich als Futtermittel eignet und künftig Fisch- oder Sojamehl in der Tierhaltung ersetzen kann oder sogar zu Plastik verarbeitet werden kann. Was man aus der guten alten Germ nicht alles machen kann, wenn man kreativ denkt und arbeitet.

Der gesellschaftliche Wandel ist bereits erkennbar. Viele Menschen denken zweimal nach, bevor sie einen Flug buchen. Die Eisenbahn bemüht sich und wird gut angenommen. Wir erkennen mehr und mehr, dass zu Fuß gehen und Rad fahren auch uns selber gut tut.

Der Juristin stellt sich immer wieder aufs Neue die Frage, welche Regelungen wir ergreifen sollen, um gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Zuckerbrot oder Peitsche?

Zunächst sind wir überzeugt, dass ökonomische Anreize, die den Menschen ihre Autonomie und Freiheit lassen, der richtige Weg sind. Eine Umfrage in jüngster Zeit hat überraschenderweise ergeben, dass die Menschen sich klare Regeln wünschen und diese oft gegenüber finanziellen Instrumenten bevorzugen. Das müssen wir bei Steuermodellen und Anreizsystemen beachten. Solange die Regeln als fair und gerecht empfunden werden, werden sie von den Menschen angenommen. Die Gesellschaft ist offensichtlich auch etwas überfordert von der Flut der Information und der Fülle an Möglichkeiten mit all der Schwierigkeit der Beurteilung.

Just and fair transition …

Es ist die Aufgabe von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, immer wieder für „just and fair transition“ zu sorgen. Der Klimabonus ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Gelbwesten in Frankreich haben gezeigt, was passiert, wenn die Balance nicht gefunden oder empfunden wird.

Gesellschaft, Technik und Recht stehen im permanenten Zusammenwirken zur Verbesserung unseres Lebens.

Den Stein der Weisen haben wir natürlich nicht gefunden. Es geht um viele abgestimmte Einzelbeiträge. Jede Person und jeder Staat muss Beiträge leisten. Es ist keine Entschuldigung, nichts zu tun, weil die anderen auch nichts tun.

Bei den internationalen Verhandlungen über die Beiträge der Staaten spielen auch historische Argumente eine wesentliche Rolle. Das ist nicht allen so bewusst. Junge, aufstrebende Volkswirtschaften wie China und Indien pochen darauf, dass die europäischen Staaten und die USA ihre Ressourcenkontingente bereits in den letzten 100-200 Jahren weitgehend verbraucht haben und man nun den jungen Staaten entsprechend Ressourcen zur Verfügung stellen muss, damit sie sich entwickeln können.

Das Notwendige ins Positive drehen …

Neue Wege werden gesucht, die Menschen zu motivieren, oder auch zu kontrollieren. Wieder geht es um Balance. Der Emissionshandel zwischen Unternehmen ist bereits tägliche Praxis. Kann dies auch auf persönlicher Ebene zum Modell werden? Ist es ein Lösungsweg, dass wir ein persönliches CO2-Budget mit auf den Weg bekommen und dafür verantwortlich gemacht werden? Ist es nicht ein bedenklicher Eingriff in unsere persönliche Freiheit und ein Problem mit dem Datenschutz, solche Regelungen zu kontrollieren?

Die Jugend zeigt generell große Bereitschaft, in die richtige Richtung zu gehen und bei der Lösung mitzuwirken. Wir müssen in Summe das Notwendige ins Positive wenden. Es geht um Anerkennung und nicht um Bestrafung. Wir müssen das Notwendige angenehm und annehmbar gestalten. Gamification ist einer der diskutierten und eingeschlagenen Wege. So wie Kinder können auch Erwachsene spielerisch lernen. Die Digitalisierung ermöglicht vieles, wenn sie positiv eingesetzt wird.

Die EU hat mit dem Green Deal und Fit for 55 deutliche Zeichen gesetzt. Nun gilt es, diese Strategie in den nationalen Gesetzgebungen umzusetzen. Alle Rechtsakte müssen im EU-Gleichklang erfolgen.

Österreich muss da noch nachschärfen und Klimaziele über 2020 hinaus festlegen. Entsprechende Gesetze sind in Vorbereitung, Verhandlungen der Gebietskörperschaften im Gange und Compliance-Mechanismen in Ausarbeitung. Die ökosoziale Steuerreform war ein wichtiger Schritt, wenn auch der Preis für CO2-Emissionen noch zu nieder ist.

Bemerkenswert und positiv zu sehen ist der strategische Ansatz der EU, über Grenzwerte für alle zu agieren und nicht einzelne Technologien zu fördern oder zu hemmen. So gibt man der Wissenschaft und der Wirtschaft die Möglichkeit, unterschiedliche Wege zu entwickeln und zu ergreifen, solange die Regelwerke eingehalten sind. Es wird also kein absolutes Verbot für Verbrenner geben, aber gegen Null gehende CO2-Grenzwerte. Neben der E-Mobilität kann auch Wasserstoff ein Weg sein.

Natürlich ist es auch ein Thema, den eigenen Wirtschaftsstandort zu schützen. Unterschiedliche Standards in der Welt beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit. Eine CO2-Grenzsteuer ist in der EU in Diskussion.

Vielfalt als Weg der Zukunft …

Bei den Energieformen und Energieträgern wird auch die Vielfalt der Weg der Zukunft sein. Nur eine gesamthafte Vernetzung aller Systeme und Maßnahmen von Energieproduktion, Energietransfer, Energiespeicherung, bis hin zu Energieraumplanung und Entwicklung unserer urbanen Räume und Landschaften wird zu sinnvollen Lösungen führen. Die sozialen Aspekte sind immer wesentlich für die gesellschaftliche Akzeptanz.

Auch bei den Naturkatastrophen geht es um uns Menschen. Erst wenn ein Ereignis das Leben der Menschen und ihre verletzlichen Güter trifft, wird es als Katastrophe bezeichnet. Dass die Katastrophen zufolge des Klimawandels zunehmen, steht außer Diskussion. Die Temperaturerhöhung erreicht in Österreich bereits fast 2 Grad Celsius und ist mittelfristig gar nicht mehr umkehrbar.

Wir müssen uns also an den Klimawandel, so gut es geht, anpassen. Schutzmaßnahmen gegen Dürre, Hochwasser, Lawinen und Muren werden immer dringlicher. Dabei stellt sich uns ein neues Problem. Die langjährigen statistischen Durchschnittswerte für Eintritt und Auswirkung von Naturkatastrophen gelten allmählich nicht mehr. Wir haben uns auf völlig neue Situationen einzustellen.

Das führt auch für Jurist_innen wieder zu neuen Herausforderungen. Haftungs- und Versicherungsfragen von Extremereignissen werden nach Wahrscheinlichkeiten ihrer Ursachen beurteilt. Die Attributionsforschung befasst sich damit. Aber Wahrscheinlichkeit und Statistik begründen nach herkömmlicher Rechtsauffassung keine Kausalität. Wie gehen wir künftig damit um?

Disaster Research Days widmen sich diesen Fragen und schaffen Aufmerksamkeit.

Die BOKU ist in vielfacher Weise mit Disaster Research befasst.

Generell leisten Technik und Naturwissenschaften ganz wesentliche Beiträge zur Sicherung unserer Zukunft. Aber wir erkennen gerade jetzt, dass der Druck auf die Wissenschaft zunimmt und die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr kommt. Sowohl der Klimawandel als auch die Pandemie sind Beispiele für diese Entwicklung, der entgegenzutreten ist. Wir müssen der Forschung, insbesondere der Grundlagenforschung Zeit und Freiheit geben, wenn wir fundierte Ergebnisse erwarten.

Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Frage, wie wir Innovation fördern können. Oft wird der Vorwurf der Überregulierung erhoben und es gibt auch schon eine Gegenbewegung dazu. „Regulatory Sand Boxes“ schaffen Erleichterungen in einem geschützten Raum, um neue Lösungen unbelastet von allzu vielen Regeln zu entwickeln und zu erproben.

Win-Win-Situationen schaffen …

Vorrang bei allen notwendigen Veränderungen hat die Gesellschaft. Nur indem wir Win-Win-Situationen schaffen, gelangen wir zu Änderungen im Lebensziel und in der Lebensweise der Menschen. Nur wenn wir von innen heraus erkennen, dass es für uns selber gut ist, wenn wir mit dem Rad fahren oder zu Fuß gehen, und dass es gesund ist, biologische Lebensmittel und weniger Fleisch zu essen, kommt es zu veränderten Verhaltensweisen. Nur wenn wir die ökonomischen Randbedingungen den Notwendigkeiten der Zukunft anpassen, wird neues Denken und Handeln entstehen.

Es ist volkswirtschaftlich richtig und sozial bedeutsam, dass wir die Kosten richtig erfassen und zuweisen. Wenn wir mehr Zeit und längere Wege in Kauf nehmen, um gesund unterwegs zu sein, sparen wir langfristig volkswirtschaftliche Gesundheitskosten. Diese Zusammenhänge bewusst zu machen, ist wesentlicher Beitrag zur positiven Motivation der Menschen.

Zu Gesellschaft, Technik und Recht gesellt sich die Wirtschaft als mitentscheidender Faktor für Klimaschutz, Energie und Katastrophenvorsorge. Eine komplexe Themenstellung braucht vielfältige Lösungskompetenz, in Wissenschaft und Praxis.

Weiterführende Links und Buchtipps: